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Die erste Elzer Hochzeit nach dem Kriegsende 1945

 

Otto Hemme (rechts) ist 1936 zwanzig Jahre alt, als er sich freiwillig zum Wehrdienst meldet. Da er als zweitgeborener Sohn den Hof nicht erben wird, hofft er sich beim Militär weiterbilden zu können und eine Ausbildung zum Förster zu machen.

Walter und Otto Hemme (von links) 1938 als Wehrmachtsangehörige. Der Hoferbe Walter Hemme fiel 1944 in Frankreich.

Otto Hemme verliebte sich Anfang des Krieges auf einem Heimaturlaub in seine schöne Nachbarin Elfriede Sprengel. Als er zum ersten Mal verwundet auf Genesungsurlaub zu Haus war, beschlossen die beiden gleich nach dem Krieg zu heiraten.

Als Otto im September 1943 wieder einmal in Elze war, wurde ein amerikanischer Jäger abgeschossen, der im Forst Rundshorn abstürzte. Der Pilot konnte sich aber mit dem Fallschirm retten und landete hinter dem Dorf in Richtung Hohenheide. Pflichtbewusst fuhr Otto mit dem Fahrrad und einem Karabiner bewaffnet dorthin, um den amerikanischen Piloten festzunehmen. Er nahm ihm die Remington Pistole ab und brachte ihn zum Spritzenhaus, wo er eine Nacht eingesperrt war, bevor er vom Militär abgeholt wurde und in Gefangenschaft ging. Otto aber barg noch den Fallschirm aus Seide. Aus ihm sollte das Brautkleid nach dem Krieg geschneidert werden.

Rauchende Trümmer eines abgeschossenen amerikanischen Jägers im Forst Rundshorn. Der Pilot konnte sich mit dem Fallschirm retten und landete am Ortsrand von Elze.

Im Russlandfeldzug fuhr Otto mit einem Pferdegespann den Küchenwagen seines Bataillons. Im November 1944 aß er von einer verdorbenen Leberwurst. Er wurde sehr krank davon und bekam Gelbsucht. Dienstunfähig geworden, erhielt er den Marschbefehl ins Lazarett nach Celle. Einen Krankentransport bekam er allerdings nicht, weil sich die Front in Russland bereits auflöste. So musste er sich allein durchschlagen. Wenn ein Wehrmachtfahrzeug Richtung Westen fuhr, wurde er allerdings meistens mitgenommen, weil man ihm seine Krankheit sofort ansah. In Reichsdeutschland fuhr er dann mit mehreren Zügen bis Lüneburg. Von hier marschierte er bis auf wenige Mitfahrgelegenheiten nach Celle und erreichte körperlich stark geschwächt aber doch lebend das Lazarett.

Als im März 45 jedem klar wurde, dass der Krieg verloren war, lag Otto immer noch im Krankenbett. Sie hörten dort täglich die Wehrmachtsberichte über das Radio. Als Amerikaner und Engländer die Weser überquert hatten, entschloss er sich aus dem Lazarett zu fliehen. Nachts sprang er im Erdgeschoss aus dem Fenster und flüchtete im Schutze der Dunkelheit an den Stadtrand in den angrenzenden Wald. Dort ging er immer in angemessener Entfernung zur Straße bis kurz vor Fuhrberg und von da durch das Wietzenbruch bis an den Waldrand vor Elze. Nun hatte er sich unerlaubt von der Truppe entfernt – er war also desertiert. Wenn er irgendjemandem auffallen sollte, konnte er möglicherweise sofort erschossen werden. So wartete er wieder bis es Nacht wurde, um im Schutze der Dunkelheit zu seiner Verlobten zu kommen. Überglücklich schloss er sie in seine Arme, niemand hatte sein kommen bemerkt. Er wurde zunächst auf dem Dachboden versteckt. Als die Feinde die Leine erreicht hatten, beschlossen Otto und Soldat Mühlberg, der Ehemann seiner Schwester Hilde, sich im Wald einzugraben und sich dort zu verstecken, bis der Krieg vorüber war. Das am weitesten entfernt liegende Waldstück von Kreugers Hof liegt an der Gemarkungsgrenze zwischen Elze und Jeversen. Hier fühlten sie sich relativ sicher. Sie bauten sich eine gut getarnte Erdhöhle zum schlafen. Elfriede kam jeden Tag mit dem Fahrrad und brachte etwas zu essen. Damit die Alliierten keinen Verdacht schöpften verließ sie das Dorf täglich zu einer anderen Zeit und wählte einen unterschiedlichen Weg, um ihrem Geliebten und dessen Schwager das Essen zu bringen.

Im Juni wurde Otto dann doch wieder so krank, dass er nach Haus kommen musste. Er versteckte sich wieder auf dem Dachboden bei Sprengels. Anfang Juli gab es eine Amnestie für Wehrmachtsangehörige, die sich keines Verbrechens schuldig gemacht hatten. So konnte Otto endlich „auftauchen“ und musste auch nicht mehr in Gefangenschaft gehen.

Kurz vor der Hochzeit im Oktober 1945 wollte Otto noch etwas Feines zum Essenl „besorgen“. Er besaß ja immer noch die Remington Pistole des Amerikanischen Piloten und wollte damit ein Stück Wild im Wietzenbruch schießen. Das war natürlich hochgefährlich. Hätte man ihn mit der Waffe angetroffen, wäre er schwer bestraft worden. Er sagte zu mir: „Es darf auch nur ein Schuss fallen, den kann man nicht orten, fällt ein zweiter Schuss, weiß man sofort die Richtung, aus der er gekommen ist.“ Otto pirschte sich ganz vorsichtig an die beiden Hirsche heran. Als er nah genug war, schoss er einmal – und der Hirsch fiel.

Die Hochzeitsfamilie am 12. Oktober im Garten vor dem Gasthaus Otto Hemme
Links neben der Braut: Frieda und Willi Sprengel. Rechts neben dem Bräutigam: Marie und Otto Hemme.
Oben links Ottos Schwester Hilde mit Ehemann Mühlberg. Mitte Ottos Cousin Horst Strube mit Freundin.
Oben rechts: Ottos Schwester Annemarie mit Ehemann Wenzel. Vorn: Hildes Kinder, Heinz und Jürgen.

Da in diesen schweren Zeiten auch die Bauern sehr zusammenhielten, gab es zur Hochzeit auch „ordentlich zu Essen und zu Trinken“. Zu trinken gab es Molkebier, selbstgebrannten Rübenschnaps und auch selbst hergestellten Fruchtsaft. Da es immer noch eine Ausgangssperre für die Abend- und Nachtstunden gab, handelten die Hochzeitsleute eine Sondergenehmigung bis 22:00 Uhr aus. Niemand wollte natürlich nach Hause gehen als es am Schönsten war. Spät in der Nacht verabschiedeten sich die Gäste. Um nicht auf der Straße von den Besatzern verhaftet zu werden, schlichen die Leute über mehrere Höfe zu sich nach Haus. Diese Hochzeit ist bei alten Leuten, die sie miterlebt haben, noch heute im Gedächtnis.

Das Bauernleben in der Nachkriegszeit war arbeitsreich und hart für das Ehepaar. So mussten sie doch auf zwei Höfen gleichzeitig arbeiten. Auf zwei Höfen Kühe melken, Schweine füttern und die anderen Tiere versorgen. Natürlich waren auch für zwei Höfe Zwangsabgaben zu entrichten. Wilhelm Sprengel übergab seinen Hof 1952 an seine Tochter Elfriede. Zur Übergabe schenkte er ihnen noch den ersten Traktor des Hofes, einen Güldner mit 18 PS.

Das „Hofübergabe-Geschenk“ Wilhelm Sprengels an seine Tochter Elfriede und Otto Hemme

1957 übergab Otto Hemme Senior den Kreugerhof an seinen Sohn Otto. Erst danach fingen die Höfe ganz langsam an, zusammenzuwachsen. Otto konnte nun neben der Arbeit auch schon mal seinem großen Hobby, dem Reiten nachgehen.

Reitturnier in Hellendorf 1958

Nun muss ich noch die besondere Rolle, die der Kreugerhof zum Kriegsende und in der Nachkriegszeit gespielt hat, erwähnen. Zum Hof gehörte auch die älteste Gaststätte des Dorfes (erste schriftliche Erwähnung 1599). In den Gast- und Nebenräumen waren zunächst eine Arzt- und eine Zahnarztpraxis eingerichtet. Weil die alte Schule wegen der vielen Flüchtlingskinder aus allen Nähten platzte, nutzte die Schule einen Raum als Klassenraum für über Dreißig Schüler. Erst als 1957 die neue Schule an der Wasserwerkstraße fertig war, entspannte sich die Situation und der Raum in der Gaststätte wurde nicht mehr gebraucht.

Die Ungewissheit vor Kriegsende, was mit ihnen und mit ihrem Eigentum geschehen würde, muss für Otto Hemme Senior und seine Frau Marie schier unerträglich gewesen sein. 2010 rief mich eine Frau aus Hamburg an, ob ich Otto Hemme sei oder mit diesem verwandt. Ich erwiderte, dass ich der Otto in dritter Generation sei. Sie hatte beim Dachboden aufräumen bei ihrem verstorbenen Onkel Dokumente von Kreugers Hof gefunden. Ich war sehr dankbar für ihre Umsichtigkeit und dass sie mir die Katasterauszüge von Kreugers Hof aus den Vierziger Jahren und Soldatenbilder von Otto und Horst Strube per Post zuschickte. Die Wirtsleute mussten in ihrer Not 1945 einem Gast diese Dokumente mitgegeben haben.

 

Otto Hemme